Verfolgt man aktuelle Neuerungen der gesetzlichen Rahmenwerke oder Berichtsstandards zum Thema Nachhaltigkeitsberichterstattung, wie beispielsweise den GRI 2021 Standard der Global Reporting Initiative oder auch den European Sustainability Reporting Standard (ESRS) im Zuge der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) der EU, fällt einem die immer größer werdende Rolle der Stakeholder im Zuge der Nachhaltigkeitsstrategie eines Unternehmens auf.
Ein Unternehmen, oder ganz allgemein auch, eine Organisation, die den Anspruch verfolgt, ihre Existenz und Tätigkeit nachhaltiger zu gestalten, kommt um eine vertiefte Auseinandersetzung der eigenen Stakeholder und somit mit dem Thema „Konzepte zur Identifikation von Stakeholdern“ nicht mehr herum.
Wir haben bereits die Grundzüge eines Stakeholderdialoges in einem Artikel zusammengefasst.
Durch die gesetzlichen Rahmenbedingungen wird die Frage Unternehmen nach dem „Ob Organisationen ihre Stakeholder einbinden sollen“ abgenommen und mit einem klaren „Ja“ beantwortet. Hier möchten wir einen kleinen Schritt weitergehen, in dem wir die Frage nach der Identifikation der eigenen Stakeholder kurz anreißen.
In der fünften Auflage des Buches „Integrative Wirtschaftsethik“, erschienen 2016 im Haupt Verlag in Bern, von Peter Ulrich, versteht er Unternehmen unabhängig von deren rechtlichen Unternehmensverfassung, also privat oder öffentlich getragen, als eine „pluralistische Wertschöpfungsveranstaltung“. Sie ist als pluralistisch zu sehen, da die Entscheidungen und Aktivitäten eine Vielzahl von Stakeholdern in ihrem Lebens- oder Existenzbedingungen betreffen. Die Beteiligten und Betroffenen sieht er damit als einen essenziellen Bestandteil im Diskurs der Legitimation des Unternehmens. Daraus leitet Peter Ulrich ab, dass die alleinige Leitfrage „Welche Werte möchte ich als Unternehmen schaffen?“ nicht mehr genügt.
Weiter müssten die Aspekte nach der Verteilung der Wertschöpfung und des Werteverzehr, sowie der Frage, für wen Werte geschaffen werden oder wer die Kosten für interne sowie externe Prozesse trage, berücksichtigt werden. Er räumt auch ein, dass der Legitimationsdiskurs für das Unternehmen auch zugleich ein Diskurs über die Zumutbarkeit des Ausmaßes der Einbindung der Stakeholder ist. Es ist im Zuge des dieses Prozesses zu klären, dass der Zweck der Unternehmung gegenüber allen Stakeholdern verantwortet und zugleich dem Management des Unternehmens zugemutet werden kann. Ein wesentlicher Schritt im Stakeholder Dialog ist damit die Klärung der „unantastbaren moralischen Rechte aller Beteiligten und Betroffenen“ laut Peter Ulrich.
Die Thematik der Zumutbarkeit wird auch im weiteren Kontext in der aktuellen Gesetzgebung der CSRD reflektiert. Gemäß Artikel 29b Absatz 4 der Direktive gibt es aktiv einen Schutz für KMUs, die sie von zu umfangreichen Anfragen von anderen Unternehmen aus der Wertschöpfungskette, die von der CSRD betroffen sind, schützt. Der zulässige Umfang der Anfrage richtet sich nach den für KMUs geplanten vereinfachten Version der ESRS.
Was können nun Konzepte zur Identifikation von Stakeholdern sein?
Die sich daraus ergebende Frage, um auf die ursprüngliche Frage, nach der Identifikation der Stakeholder, zurückzukommen, kann laut Peter Ulrich auf zwei Arten beantwortet werden.
- Mit einem Machtstrategisches Konzept und
- mit einem Normativ Kritischen Konzept.
Das Machtstrategische Konzept sieht all jene als Stakeholder, die ein Einflusspotential gegenüber dem Unternehmen haben, das kann aufgrund von Macht über Ressourcen oder aufgrund von Sanktionen sein. Das Normativ Kritische Konzept dagegen, sieht all jene als Stakeholder, die gegenüber der Organisation oder Unternehmung legitime Ansprüche haben aufgrund von Rechten durch vertragliche Regelungen oder aufgrund von moralischen Rechten. Dieses Konzept stellt somit die Frage, wer berechtigte Ansprüche haben soll bzw. erheben können soll, unabhängig davon, wer sie in der aktuellen Situation erheben kann.
Letztlich bedeutet das für Unternehmen, denen die Einbindung der Stakeholder und damit die nachhaltigere Gestaltung der eigenen Existenz und Aktivitäten ernsthaft wichtig ist, dass eine ausführliche Analyse der eigenen potenziellen Stakeholder inklusive deren legitimen Ansprüchen an das Unternehmen und deren Wertschöpfung ein wesentlicher Schritt in jeder Wesentlichkeitsanalyse ist.
Ulrich, P. (2016) Integrative Wirtschaftsethik Grundlagen Einer Lebensdienlichen Ökonomie. 5. Auflage. Bern: Haupt Verlag.
Bei Fragen zum Thema steht das Terra Institute natürlich jederzeit zur Verfügung. Kontaktiert gerne direkt André Meinhard (a.meinhard@terra-institute.eu).
André Meinhard studierte Sustainability Economics and Management an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg und konnte dadurch ein transdisziplinäres Fachwissen zu Nachhaltigkeit aufbauen.
Derzeitige Schwerpunkte hat André in den Themen Berichterstattung, Wesentlichkeits- und Impactanalysen, Stakeholderdialogen sowie Sustainable Packaging.