Dass Unternehmen ein Leitbild haben und kommunizieren, ist heutzutage der Standard. Dass Unternehmen darin zumeist ihre Vision, ihre Mission und ihre Werte beschreiben, ist ebenfalls hinreichend bekannt. Doch was meint der in diesem Zusammenhang immer häufiger auftretende Begriff des Purpose? Wie unterscheidet sich dieser von Mission und Vision? Und wie verhält sich der Begriff Purpose zur Nachhaltigkeit?
Kurz gesagt: Wenn die Mitarbeiter:innen eines Unternehmens unabhängig von ihrer Hierarchieebene und Bezahlung morgens gerne aufstehen und motiviert zur Arbeit gehen, dann hat das Unternehmen ziemlich sicher einen Purpose. Bewusst oder unbewusst.
Ein neues Verständnis von Unternehmertum
Es gibt Branchen, da liegt der Purpose – als ein über das Unternehmen hinaus gehender Sinn – auf der Hand. Beispielsweise, wenn es um die Rettung oder die Pflege von Menschen, Tieren und Natur geht. Für die meisten Unternehmen ist das Finden eines Purpose allerdings komplexer und eingebettet in ein größeres und neues Verständnis von Wirtschaft und Unternehmertum. Bisher war es so, dass der Sinn einer Unternehmung hauptsächlich darin gesehen wurde, Gewinne zu erwirtschaften. Nach dem Sprichwort, wonach der Zweck die Mittel heiligt, bedeutete dies: Alles ist erlaubt und gut, solange es Geld bringt und man dabei die geltenden Regeln und Gesetze einhält. Das hat sich geändert. In Anbetracht der Klimakrise und spätestens mit der Generation Z als Arbeitnehmer:innen strecken sich die meisten Unternehmen danach, eine sinnvolle Beschäftigung zu vermitteln. Die Menschen haben das Bedürfnis nach einem Sinn, der tief im Unternehmenszweck verankert ist und dauerhaft Gültigkeit hat. Mitarbeiter:innen sind nicht mehr bereit, „alles“ zu tun, solange nur das Geld stimmt, Kund:innen möchten nicht mehr nur Markenprodukte shoppen, sondern auch ein gutes Gefühl haben – im ganzheitlichen Sinn.
Der Unterschied zwischen Purpose und Mission?
Mission und Purpose werden in der Praxis heute oft noch verwechselt. Was ist der Unterschied? In der Mission beschreiben wir, was wir tun, im Purpose beschreiben wir, warum wir es tun. Die Mission liefert die Basis für die Unternehmensstrategie und den Fokus sämtlicher Tätigkeiten, der Purpose beschreibt die Kultur, die nötig ist, um die gemeinsame Vision zu erreichen, und befeuert die Leidenschaft für die Tätigkeit. An einer Mission kann man sich beteiligen – auch monetär –, wohingegen man den gemeinsamen Purpose teilt und jeder für sich die Verantwortung übernimmt, ihn zu verfolgen.
„Früher war ein Leitbild an Mission und Vision aufgehängt. Plötzlich ist alles Purpose.“ Das hören wir recht häufig in Unternehmen. Aber ersetzt der Purpose das Leitbild? Oder ist es vielmehr so, dass der Purpose sich mit Mission und Vision zu einem vollständigen Leitbild ergänzt und dieses nachhaltig macht?
Der Purpose, der tieferliegende Sinn, ergänzt die Mission und Vision und stellt sicher, dass das Leitbild als Ganzes eine nachhaltige Richtung verfolgt.
Auf den Unternehmensseiten im Internet lässt sich eine Vielzahl von Unternehmensleitbildern finden. Vornehmlich sind diese auf das Geschäft ausgerichtet und lesen sich wie ein Mix aus Verhaltensregeln und Kundenversprechen. Selten finden wir bislang Leitbilder, die etwas beschreiben, für das Menschen richtig brennen können, etwas, was sie morgens energiegeladen aufstehen und loslaufen lässt.
Im Nachhaltigkeitsmanagement, das Menschen für den nachhaltigen Wandel regelrecht begeistern soll, hat man deshalb sehr viel Energie aufgewendet, um Methoden sinnstiftender Leitbildarbeit zu finden. Und der Begriff des Purpose, des tieferliegenden Sinns, findet darin seinen ganz zentralen Platz. Er ergänzt somit die bisherige Mission und Vision und stellt
sicher, dass das Leitbild als Ganzes eine nachhaltige Richtung verfolgt.
Keine Daseinsberechtigung ohne Purpose
Simon Sinek hat Purpose und Nachhaltigkeit mit dem Modell des Golden Circle während seines TED-Talks 2009 das erste Mal auf den Punkt gebracht, indem er die Kraft inspirierender Unternehmen und Marken beschrieb: „Why? How? What?” Das Why (Warum?) steht im Zentrum des Kreises. Der Purpose als tief liegender Sinn und Zweck beantwortet die Frage, warum ein Unternehmen für die Welt, die Biosphäre genauso wie die Gesellschaft wichtig ist, welchen positiven Beitrag es für das Wohl der Erde leistet. Der Purpose beschreibt damit einen höheren Daseinszweck eines Unternehmens, unabhängig von der Generierung von Gewinnen. Nach diesem Ansatz haben all jene Unternehmen, die keinen zugrundeliegenden Purpose verfolgen und deshalb nicht nachweisen können, dass sie wirklich sinnvoll sind für die Erhaltung des Lebens auf der Erde, keine Daseinsberechtigung mehr.
Gerne werden in diesem Zusammenhang die Unternehmen Patagonia und Tesla genannt, die schon sehr früh ihren Purpose definiert und kommuniziert haben. Bei Patagonia heißt es: „We are in business to save the planet.“ Bei Tesla: „We accelerate the world’s transition to sustainable energy.“
Innerhalb eines so formulierten Sinns ist es für die einzelnen Mitarbeitenden recht einfach, sich selbst zu positionieren und eine Haltung zu entwickeln, die Anziehungskraft ausstrahlt.
Erst aus dem Purpose, dem Why, heraus entsteht laut Sinek das How und das What: Was muss ein Unternehmen mit all seinen Beteiligten tun, um den Beitrag, den es leisten will, in einen Auftrag zu überführen, den bestimmten „Seinszweck“ operativ in Bearbeitung zu bringen? In diese zweite und dritte Kategorie des goldenen Kreises kommen nun erst die klassische Mission und Strategie vor.
Die Vision beschreibt darüber hinaus, wo das Unternehmen in drei bis fünf Jahren stehen will und wie sich bis dahin die Welt verändert haben wird. Auch dies ist wichtig, da Investor:innen, Kund:innen und Mitarbeiter:innen heute wissen wollen, ob ein Geschäftsmodell „enkeltauglich“ ist. Eine strategische, nachhaltige Vision ist auf zukünftige Entwicklungspfade des Unternehmens fokussiert, wie Märkte, die angestrebt werden, oder zukünftige Technologien und Produkte.
Wie Unternehmen in der Praxis einen Purpose entwickeln können
Es gibt unterschiedliche Herangehensweisen zur Entwicklung des Purpose. Eine davon ist der systemische Ansatz, der sich in fünf Fragen beschreiben lässt:
- Systemzugehörigkeit: Für wen tun wir, das wir tun? Aus welcher systemischen Zugehörigkeit schöpfen wir unseren Unternehmenszweck?
- Bedarf in der Welt: Welche Bedürfnisse, welche Bedarfe gibt es in der Welt? Was wird gebraucht? Bei welchen Nöten ist mein Herz zuhause?
- Alleinstellung: Welche Kernkompetenzen hat unser Unternehmen? Wo fühlen wir unsere größten Stärken?
- Sinn: Warum existieren wir? Was ist der Sinn unserer Unternehmungen? Wie verbessern wir die Welt? Wie verstehen wir unsere Rolle?
- Zukunftsgestaltung: Was wollen wir verändern? Wo wird uns unser Purpose hinführen? Von welchem Bild der Welt träumen wir?
Egal, welcher Ansatz gewählt wird, für einen kraftvollen Leitbild- und Purpose-Prozess ist eine möglichst hohe Partizipation in einer heterogenen Gruppe immer hilfreich. Jene Beteiligten, die Lust auf den Prozess haben, werden den Purpose als Multiplikatoren ins Unternehmen hineintragen und ihn lebendig werden lassen.
So ist der Purpose zentrale Energiequelle des Unternehmens inmitten einer neuen, nachhaltigen Wirtschaft, die eingebettet ist in Belange von Gesellschaft und Umwelt. Damit wirkt der Purpose der überholten Vorstellung „Wenn es der Wirtschaft gut geht, geht es allen gut“ entgegen.
Bei Fragen zum Thema steht das Terra Institute natürlich jederzeit zur Verfügung [office@terra-institute.eu].