Produkte sind der Kern einer nachhaltigen Unternehmensstrategie
Nachhaltigkeit ist im Kerngeschäft angekommen
In der Vergangenheit wurde unternehmerische Nachhaltigkeit häufig als etwas Zusätzliches, teils sogar als kostenintensives Beiwerk, betrachtet: Neben der „eigentlichen“ Unternehmensstrategie gab es auch noch den Vorsatz, außerdem etwas Gutes zu tun. Mit dem Geschäftsmodell (Business Model), wie also das Unternehmen Geld verdient, hatte Nachhaltigkeit nichts zu tun, außer eben als Kostenfaktor und somit Kandidat für Budgetkürzungen. In der Folge verschaffte sich die Nachhaltigkeit vor allem über das Risikomanagement – etwa Rohstoffknappheiten und Reputationsschäden – einen Platz auf der Vorstandsagenda.
Seither ist, nicht zuletzt unter dem Eindruck der Klimakrise, die Erkenntnis gereift, dass es tatsächlich einer sehr grundlegenden Transformation des Wirtschaftens bedarf. Die klassische, lineare, energie- und rohstoffintensive Wirtschaftsweise hat uns ja gerade in diese Klimakrise geführt. Wenn nun Vorstände über zirkuläre und nettopositive Geschäftsmodelle nachdenken, ist die Nachhaltigkeit mitten im Kerngeschäft angekommen. „Das Produkt spiegelt die nachhaltige Unternehmensstrategie wider“ – was ist damit gemeint?
Widerspruch mit der Wachstumsorientierung
Unschwer erkennen lässt sich das an einem geläufigen Produkt wie dem Smartphone. Wenn es gelingt, den Energieverbrauch aller Smartphones um zehn Prozent zu senken, sorgt die Hebelwirkung großer Stückzahlen für hohe Einsparungen. Zum Bewältigen der Energie- und Rohstoffkrise ist dieser Skaleneffekt unbedingt erforderlich. Gleichzeitig macht das Beispiel des Smartphones aber auch deutlich, dass der Nutzwert von Kommunikation, Entertainment und weiteren Funktionen so attraktiv ist, dass in einem wachsenden Markt mit kurzen Produktzyklen eine Reduzierung des Energieverbrauchs noch längst nicht genügt: Die Einsparungen werden durch Marktwachstum und Nutzungsintensität überkompensiert (Rebound-Effekt). Das bedeutet, die starke Nachfrage nach innovativen Produkten macht ihren Nachhaltigkeitseffekt zunichte, indem in der Summe über die hohen Stückzahlen noch mehr Energie verbraucht wird.
Produkte manifestieren das Wirtschaftssystem
Das Produkt ist also der Schlüssel zur Transformation des Wirtschaftssystems. Das Unternehmen erweitert sein Geschäftsmodell um die ausdrückliche Einbeziehung eines Beitrags zu gesellschaftlichen Belangen. Dies kann durch die Erfüllung von grundlegenden Bedürfnissen geschehen, beispielsweise bei einem Medizinprodukt, das Menschen Teilhabe ermöglicht. Es kann auch durch die Beachtung planetarer Grenzen erfolgen, indem beispielsweise eine skalierbare Versorgung mit erneuerbaren Energien erreicht wird. Der Begriff Nutzen umfasst dabei sowohl technisch-funktionale als auch ästhetisch-emotionale Bestandteile und findet seinen Ausdruck in der Zahlungsbereitschaft der Kunden. Ansatzpunkte für mehr Nachhaltigkeit können also sowohl beim Produktnutzen als auch bei den dafür aufgewendeten Ressourcen bestehen.
Mehr Nutzen mit weniger Ressourcen
ist eine gute, wenn auch nicht hinreichende Formel. Denn Effizienz allein verhindert in der Regel nicht den Rebound-Effekt.
Wie können wir Nutzwert und Ressourcenaufwand voneinander entkoppeln?
Lässt sich der Widerspruch mit der Wachstumsorientierung überhaupt auflösen?
VOM PURPOSE ZUR STRATEGIE
Dazu sollten wir uns auf den Unternehmenszweck (Corporate Purpose) zurückbesinnen: Warum gibt es das Unternehmen? Inwiefern schafft es eine bessere Welt? Um eine nachhaltige Unternehmensstrategie zu entwickeln, muss also die Frage beantwortet werden, wie trotz und gerade wegen der kommerziellen Skalierung die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse innerhalb planetarer Grenzen gelingen kann. Den Kern einer solchen nachhaltige Unternehmensstrategie stellt somit die langfristige Produktstrategie dar: Sie beschreibt, wie das Unternehmen seinen Daseinszweck erfüllt, indem es gesellschaftlichen Nutzen stiftet und dazu nachhaltige Lösungen schafft. Beispielsweise könnte sich der Unternehmenszweck eines Verpackungshersteller auf den Schutz und die Haltbarkeit von wertvollen, vitaminreichen Lebensmitteln beziehen.
Dies wird bislang durch ein Einwegsystem mit entsprechend hohem Materialaufwand gewährleistet. Der Lösungsraum ist indessen nicht von vornherein an ein bestimmtes Produkt, eine materielle Lösung geknüpft.
So kann beispielsweise ein kreislauffähiges (zirkuläres) Produkt wie eine hochwertige Mehrwegverpackung auch ohne erneuten Rohstoffeinsatz immer wieder ihren Zweck erfüllen.
Weil Produkte Konsummuster prägen und verändern können, entfalten sie ein disruptives Potenzial: So könnte eine nächste Entwicklungsstufe der Ersatz von Limonade in Einwegflaschen durch Microdrinks aus Extrakten in wiederverwendbaren Gefäßen sein.
PRODUKTE VERMITTELN EINE NACHHALTIGKEITSBOTSCHAFT
Hinzu kommt, dass aufgrund der verbesserten Transparenz im Allgemeinen und der Offenlegungspflichten für Produktinformationen im Besonderen weitaus mehr bekannt ist über die Geschichte, die das Produkt erzählt. Das Produkt selbst wird zur Botschaft. Es vermittelt, wie unternehmerische Nachhaltigkeit und Produktverantwortung gelebt werden. Das Produkt spiegelt die nachhaltige Unternehmensstrategie wider. Beispielsweise vollzieht sich in der Lebensmittelindustrie ein Wandel zu weitreichender Rückverfolgbarkeit, sodass der Weg des Erzeugnisses vom Anbau bis zum Verzehr nachvollzogen werden kann. Das Konzept eines digitalen Produktpasses (DPP) lässt derartige Entwicklungen auch für andere Sektoren erwarten.
Das innovationsmanagement braucht nachhaltige leitlinien
Idealität bedeutet maximaler nutzen bei minimalem aufwand
Der Produktnutzen, also Funktion und Qualität, machen den Wert in den Augen des Kunden aus. In einer idealen Welt ließe sich grenzenloser Nutzen mit verschwindend geringem Aufwand erzielen. Deshalb bezeichnet die Innovationsforschung das Verhältnis von Nutzen und Aufwand als Idealität.

- Primär werden Forschung und Entwicklung bestrebt sein, den Nutzen des Produktes zu steigern. Ein Beispiel sind Energie- oder auch Datenspeicher mit immer größerer Kapazität. Darüber hinaus können positive externe Effekte durch das Produkt selbst oder entlang seiner Wertschöpfungskette erzielt werden. Denken wir an Bauprodukte wie Fenster und Fassaden, die zur Energieeffizienz und Sicherheit, zum Erscheinungsbild des Quartiers und zur Lebensqualität der Allgemeinheit beitragen.
- Gleichzeitig gilt es, den Aufwand an Kosten und Zeit zu senken. Bei der Entwicklung nachhaltiger Produkte übernehmen wir auch Verantwortung für die zunächst verborgenen Risiken und Nebenwirkungen, etwa in der Lieferkette oder im Ökosystem. Indem wir also negative Externalitäten internalisieren, tritt eine weitere Aufwandsgröße hinzu: die Umweltwirkung (Impact).
Der Impact wird durch Kennzahlen wie den ökologischen Fußabdruck erfasst. Der CO2-Fußabdruck (Product Carbon Footprint) ist dabei ein guter Leitindikator, weil er die Energie- und zum Teil auch Rohstoffintensität gleichermaßen abbildet. Weitere Umweltwirkungen bezieht der ökologische Fußabdruck s ein: Daraus lässt sich beispielsweise für einen Lithium-Ionen-Akku ablesen, dass diese Technologie durchaus rohstoffintensiv ist und dass beim Abbau weitere ökologische Folgewirkungen durch Wasserverbrauch, Salzbelastung und Landschaftsbeeinträchtigung eintreten. Gleichzeitig bietet die Wiederverwertung nach der Nutzung – gerade für ein rohstoffarmes Land wie Deutschland – die Chance, den Lithium-Wertstoffkreislauf zu schließen. Und wegen der erforderlichen Logistik gelingt das natürlich eher bei einem Leasingsystem, was wiederum ein verändertes Geschäftsmodell nahelegt.
Der Impact wird durch Kennzahlen wie den ökologischen Fußabdruck erfasst. Der CO2-Fußabdruck (Product Carbon Footprint) ist dabei ein guter Leitindikator, weil er die Energie- und zum Teil auch Rohstoffintensität gleichermaßen abbildet. Weitere Umweltwirkungen bezieht der ökologische Fußabdruck s ein: Daraus lässt sich beispielsweise für einen Lithium-Ionen-Akku ablesen, dass diese Technologie durchaus rohstoffintensiv ist und dass beim Abbau weitere ökologische Folgewirkungen durch Wasserverbrauch, Salzbelastung und Landschaftsbeeinträchtigung eintreten. Gleichzeitig bietet die Wiederverwertung nach der Nutzung – gerade für ein rohstoffarmes Land wie Deutschland – die Chance, den Lithium-Wertstoffkreislauf zu schließen. Und wegen der erforderlichen Logistik gelingt das natürlich eher bei einem Leasingsystem, was wiederum ein verändertes Geschäftsmodell nahelegt.
ÖKOBILANZ ALS KOMPASS FÜR INNOVATIONEN
Der eigentliche Zweck einer Ökobilanz (Life Cycle Assessment), die neben dem CO2-Fußabdruck weitere Umweltwirkungen umfasst, sollte demnach auch eher in der Bereitstellung von Kennzahlen für die Unterstützung der strategischen Planung und zielgerichteten Innovation bestehen und sich nicht etwa in der marktorientierten Kommunikation erschöpfen. Vielmehr lässt die Ökobilanz Ansatzpunkte für die kontinuierliche Verbesserung des Product Carbon Footprints erkennen, ob es also eher um den Energieverbrauch in der Nutzungsphase geht oder um die Verwendung zirkulärer Werkstoffe in der Herstellung – und wie diese beiden Bereiche sich untereinander beeinflussen. Wichtig ist, dabei nicht den Zusammenhang mit Funktion und Nutzen des Produktes aus dem Blick zu verlieren. Auf dem Innovationspfad in Richtung Idealität kann der Nutzen gesteigert und der der Aufwand reduziert werden.
ZUSAMMENHANG MIT SCOPE 3
Zugleich eröffnen sich dabei Chancen für wirksame Klimastrategien im sonst so schwierigen Scope 3 des Unternehmens, also dem Beitrag eingekaufter Materialien und Waren zum CO2-Fußabdrucks des gesamten Unternehmens. Wir können also eine herstellen: Falls die Ökobilanz wesentliche Ansatzpunkte bei Werkstoffen und Vorprodukten erkennen lässt, können aus der Analyse des Scope 3 (Upstream) jene 20 Prozent der eingekauften Waren ermittelt werden, die 80 Prozent des Corporate Carbon Footprint ausmachen. Falls das nicht der Fall ist, bestehen die Minderungspotenziale eher im Downstream des Scope 3 oder im so genannten Scope 4: Die Produktentwicklung sollte sich auf entsprechende Verbesserungen der Nutzungseigenschaften oder des End-of-life-Managements konzentrieren.
Zum Beispiel hat das Nachdenken über möglichst verpackungsarme Produkte – oft verbunden mit dem Weglassen von Wasser in der Rezeptur – sowohl im Lebensmittelbereich als auch bei Kosmetik- und Haushaltsprodukten oft zu radikalen Neuerungen geführt, die mit deutlich weniger Material auskommen. Solche Überlegungen führen nicht selten zu Innovationen und in der Folge zu einem neuen und vielleicht sogar disruptiven Geschäftsmodell. Voraussetzung dafür ist die Integration von Prinzipien der Nachhaltigkeit sowohl im Innovationsmanagement als auch im Produktmanagement. Um also eine nachhaltige Unternehmensstrategie zu entwickeln, beziehen Sie sowohl den Produktnutzen als auch den Ressourcenaufwand in Ihre Überlegungen mit ein.

Ivo Mersiowsky ist Berater und Coach für Nachhaltigkeit in Produktmanagement und Unternehmensführung. Als Umweltingenieur mit Vertiefung im Innovationscoaching ist er seit über 25 Jahren im Bereich Nachhaltigkeitsmanagement tätig, mit Stationen in der Chemieindustrie, einer Prüfgesellschaft und in verschiedenen internationalen Beratungsunternehmen.