Ein Weg durch den Wald der Produktentwicklung
TWIN TRANSFORMATION – Kreislaufwirtschaft und Digitalisierung

Gemeinsam mit der Universität Stuttgart hat die Unternehmensberatung COALAXY in der Studie „Resiliente Produktentwicklung – Kreislaufgerechte Produktarchitekturen für zukunftsfähige Produkte und Unternehmen“ die entscheidenden Erfolgsfaktoren für das Gelingen einer kreislaufgerechten Produktentwicklung herausgearbeitet. Die Digitalisierung spielt dabei eine wesentliche Rolle, die von den meisten Unternehmen noch unterschätzt wird. Twin Transformation: In unserem Beitrag arbeiten wir anhand von vier Erfolgsfaktoren die Integration der Digitalisierung in eine erfolgsversprechende Roadmap für resiliente Produktentwicklung heraus.

TWIN TRANSFORMATION – Erfolgreiche Verknüpfung von Kreislaufwirtschaft und Digitalisierung

Die Studie basiert auf Interviews mit Experten der Produktentwicklung oder der Kreislaufwirtschaft aus 35 Unternehmen der produzierenden Industrie, darunter mehrere DAX-Unternehmen, sowie KMU im Wesentlichen aus der DACH-Region. Die Bedeutung der Digitalisierung in Zusammenhang mit der Kreislaufwirtschaft unterschätzen die meisten Unternehmen dabei. Zwar nutzen bereits 15% der Studienteilnehmer die IT-Sicht als relevante kreislaufgerechte Produktperspektive.

Der Übergang zur Kreislaufwirtschaft erfordert jedoch zwingend, dass Informations- und Stoffflüsse über den gesamten Lebenszyklus bestmöglich koordiniert werden. Informationen über Mengen und vor allem Qualitäten von Materialien, Komponenten und Produkten müssen erfasst und kontinuierlich aktualisiert werden. Aktualisierungen dieser Informationen müssen im Kreislauf mitgeführt werden, damit jeglicher Abfall und Produktbestandteil zu einer wieder verarbeitbaren Ressource werden.

    Wertströme und Erfolgsfaktoren kreislauffähiger Produktentwicklung

    Unternehmen, die sich strategisch auf die zukünftigen Chancen der Kreislaufwirtschaft einstellen möchten, sollten die fünf Wertströme der Kreislaufwirtschaft berücksichtigen. Diese sogenannten ‘R-Wertströme’ sind definiert als ein Bündel von Erfolgsfaktoren, das einen Mehrwert für Unternehmen und ihre Kunden liefert (siehe Abbildung 1). Aus Sicht der Studienteilnehmer stellen die R-Wertströme mitsamt den ihnen zugeordneten Erfolgsfaktoren die notwendigen Zutaten für einen erfolgreichen Einstieg in die Kreislaufwirtschaft dar.

    Grafik zur Transformation der kreislauffähigen Produktentwicklung

    Abb. 1: R-Wertströme und Erfolgsfaktoren kreislauffähiger Produktentwicklung

    Der Wertstrom REINFORM berücksichtigt im Verbund der fünf Wertströme die Bedeutung von Digitalisierung und Daten bei der Gestaltung kreislaufgerechter Produkte. Eine entscheidende Herausforderung ist dabei, die Fülle der Informationen über die stoffliche Zusammensetzung jedes einzelnen Produkts, seinen Zusammenbau und Vertrieb, seine Nutzungsmuster, seinen Verbleib im Abfallsystem etc. effektiv zu erzeugen, zu sammeln, zu verarbeiten und wieder zur Verfügung zu stellen. All dies ist notwendig, um im nächsten Schritt funktionierende Märkte und Kreisläufe zu etablieren. Anstatt auf Regulierung angewiesen zu sein, könnten so effektive marktbasierte Lösungen entstehen.

    Auch die Zurückhaltung der einzelnen Glieder der Lieferkette gegenüber einem unternehmensübergreifenden und interoperablen Datenaustausch stellt aktuell noch eine massive Hürde dar. Nach der Studie „Data Sharing in Deutschland“ vom Institut der deutschen Wirtschaft beteiligen sich 58 % der Unternehmen in Deutschland nicht am Datenaustausch. Darüber hinaus geben lediglich 21 % der Unternehmen Daten ab, davon gerade einmal 14 % mit hoher Intensität.

    Die in den meisten Unternehmen anzugehende doppelte Transformation aus Digitalisierung und Nachhaltigkeit bietet das Potential die Umsetzung der Kreislaufwirtschaft zu beschleunigen. Die Digitalisierung der Kreislaufwirtschaft darf aber kein Selbstzweck sein, sondern erfordert für tatsächliche Beiträge zum Klima-, Biodiversitäts- und Ressourcenschutz entsprechende Leitplanken, damit die Digitalisierung nicht zum Brandbeschleuniger ökologischer Zerstörung wird oder Rebound-Effekte auftreten, welche die durch die Digitalisierung entstandenen Effizienzpotentiale zumindest teilweise neutralisieren oder sogar überkompensieren. Gelingt es, die Digitalisierung nachhaltig zu gestalten, kann sie den kreislaufgerechten Umbau der Wirtschaft entscheidend voranbringen.

      Der Wertstrom REINFORM und sein Bündel an Erfolgsfaktoren

      Die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) verpflichtet mehr und mehr Unternehmen eine Vielzahl aktuell noch nicht in ausreichendem Maße erschlossener Daten zukünftig in prüfsicherer Qualität zu erheben. Anstatt diese Daten ausschließlich für die jährliche ex post Berichterstattung zu nutzen, erkennen die Pioniere der Kreislaufwirtschaft den Wert dieser Daten für die strategische Ausrichtung des Unternehmens und die Entwicklung nachhaltiger kreislaufgerechter Produkte. ‚Durchgängige Nachweisführung’, ‘nachhaltige Intelligenz des Produkts’, ‘virtuelle Mine’ sowie ‘überzeugende Kommunikation’ haben sich als Erfolgsfaktoren der Kreislaufwirtschaft aus dem Bereich Digitalisierung herauskristallisiert.

      Durchgängige Nachweisführung

      Mit einer ‚durchgängigen Nachweisführung‘ legen Unternehmen offen, welche und wie Leistungsindikatoren zu Ressourcennutzung und Kreislaufwirtschaft in der Produktentwicklung und der regelmäßigen internen Planung und Kontrolle genutzt werden. Die Organisation legt dar, wie geeignete Prozesse Zuverlässigkeit, Vergleichbarkeit und Konsistenz der Daten zur internen Steuerung und externen Kommunikation sichern. Für eine ‚durchgängige Nachweisführung‘ gilt es zu beachten, dass jede Datentransaktion mit einem Audittrail hinterlegt wird, damit alle Daten, die in ein System rein- oder rausgehen prüfbar sind. Idealerweise ist in den Systemen ein eigenes Rollen- und Rechtekonzept für Prüfer vorgesehen. Das Audit selbst sollte Teil jedes datentechnisch relevanten Prozesses sein und die Auditierbarkeit vor dem Einfrieren von Daten als eigenen Prüfschritt vorsehen. Eine ‚durchgängige Nachweisführung‘ gewährleistet der Organisation Prüfungssicherheit. Darüber hinaus erfüllt die Organisation mit einer durchgängigen Nachweisführung die Anforderungen zur Erstellung und Offenlegung von CSRD-Informationen.

      Nachhaltige Intelligenz des Produkts

      Entlang der Wertschöpfungskette kommt ein kreislauffähiges Produkt mit einer Reihe von Stakeholdern in Berührung, die berechtigte Anforderungen in Bezug auf Kreislaufführung an das Produkt stellen, beispielsweise

      • Regulatoren: Z.B. örtliche und rechtliche Rahmenbedingungen
      • Konsumenten: Z.B. ökologische und soziale Bedingungen der Herstellung des Produkts
      • Reparaturbetrieb: Z.B. Demontage- und Ersatzteilinformationen
      • Entsorger: Z.B. umwelt- und ressourcenschonendes Recycling

      Bereits 40% der Studienteilnehmer denken eine Veränderung der Stakeholder-Landschaft und der sich ändernden Anforderungen in der Architekturentwicklung mit. Ein digitaler Produktpass soll diese Informationen zukünftig für alle Stakeholder an zentraler Stelle bündeln. Eine Zustandsüberwachung des Produkts über den gesamten Produktlebenszyklus ermöglicht z.B. die frühzeitige Erkennung von Verschleiß und somit die Lebenszeit des Produkts, durch vorausschauende Wartung sowie eine adaptive Steuerung in die verschiedenen Kreisläufe je nach Zustand, zu verlängern. Digitaler Produktpass und zirkuläre Analysefähigkeiten machen herkömmliche Produkte zu ‚nachhaltig intelligenten Produkten‘ und ermöglichen so die Maximierung der Produktlebensdauer.

      Virtuelle Mine

      Mit einer sogenannten ‚virtuellen Mine‘ versprechen sich Hersteller weltweit einen großen Anteil am zukünftigen Eigenbedarf an Rohstoffen und Materialien bei möglichst hohen Rücklauf- und Sammelquoten ihrer Produkte über das Recycling zu decken. Dabei entstehen durch die mit nachhaltiger Intelligenz versehenen Produkte ganz neue Rohstoffmärkte als digitale Plattformen für Materialien und Komponenten. Das Zusammenführen von Angebot und Nachfrage nach Abfällen bzw. Sekundärmaterial kann durch internetbasierte Lösungen revolutioniert werden. Dabei zielen die Hersteller im Sinne einer resilienten, zukunftsfähigen Aufstellung insbesondere auf eine garantierte Verfügbarkeit der benötigten Materialien und Komponenten aber auch auf eine Preisstabilität ab. Externe Abhängigkeiten, die zu Lieferengpässen führen können, sollen durch diese Sekundärmaterialmärkte vermindert werden. Hersteller, die schon heute mit Product-as-a-Service- oder Leasing-Modellen aufgestellt sind, können die Vorteile dieser Modelle bestmöglich für den Aufbau einer ‚virtuellen Mine‘ nutzen, weil die Verfügbarkeit der verbauten Materialien dadurch exakt vorhersagbar ist.

      Überzeugende Kommunikation

      Die rechtlichen Vorgaben zur Nutzung von Umweltaussagen sind an vielen Stellen bisher noch unklar. Diese Leerstelle kann von Unternehmen genutzt werden, um mit vagen, unfundierten oder fälschlichen Klimaversprechen zu werben. Die Green Claims Directive ist eine Richtlinie, welche die Europäische Union aktuell auf den Weg bringt. Ziel ist es klare und transparente Standards für die Nutzung von umweltbezogenen Aussagen für Produkte und Dienstleistungen von Unternehmen zu schaffen. Aussagen sollen nur gemacht werden können, wenn diese auch wissenschaftlich belegbar sind (Bundesverband Nachhaltige Wirtschaft e.V. FAQ Green Claims Directive| BNW (bnw-bundesverband.de) [06.05.2024]). Das wachsende Bewusstsein in der Gesellschaft für Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft sowie die Radikalisierung von einzelnen aktivistischen Gruppierungen erfordern einen ernsthaften Dialog mit Kritikern. Für eine ‚überzeugende Kommunikation‘ mit Kritikern und der Gesellschaft gilt es diesen Dialog durch kreislaufgerechte Produktarchitekturen und allen dazugehörigen Daten zu untermauern.

        Die REINFORM-Roadmap zur Reifesteigerung

        Unternehmen, die das Potential von Kreislaufwirtschaft und Digitalisierung für sich erkannt haben, sollten die identifizierten R-Wertströme und Erfolgsfaktoren kritisch hinterfragen und auf ihren jeweiligen Anwendungsfall anpassen. Das Vorgehen sollte dabei nach dem Prinzip «2 Schritte voraus» erfolgen. Hierbei gehen Unternehmen je Erfolgsfaktor in zwei Schritten vor, um sich Ihrer Vision sukzessive anzunähern:

        • Durchgängige Nachweisführung
          • Schritt 1: Von manueller zu toolgestützter Nachweisführung
          • Schritt 2: Von Informationsüberfluss zu echter Transparenz
        • Nachhaltige Intelligenz des Produkts
          • Schritt 1: Von rein physischen Produkten zu cyber-physischen Systemen
          • Schritt 2: Von geplanter zu adaptiver Kreislaufführung
        • Virtuelle Mine
          • Schritt 1: Von Primär- zu Sekundärmaterialien
          • Schritt 2: Von Lieferengpässen zu garantierten Verfügbarkeiten
        • Überzeugende Kommunikation
          • Schritt 1: Von allgemeinen zu wissenschaftlich belegten umweltbezogenen Aussagen
          • Schritt 2: Von Green Claims zu einem stabilen nachhaltigen Image

        Unternehmen, welche die Transformation hin zur Kreislaufwirtschaft verfolgen, müssen diese darüber hinaus mit einer robusten und sicheren IT-Bebauung sowie einem professionellen Change-Management begleiten. Wie die schrittweise Transformation am Beispiel REINFORM gelingen kann, zeigt Abbildung 2.

        Grafik Roadmap kreislauffähige Produktentwicklung

        Abb. 2: Roadmap kreislauffähiger Produktentwicklung am Beispiel REINFORM

        Mehr Informationen zur Studie „Resiliente Produktentwicklung. Kreislaufgerechte Produktarchitekturen für zukunftsfähige Produkte und Unternehmen.“ erhalten Sie im kostenlosen Webinar [weitere Infos: WEBINAR – Resiliente Produktentwicklung] oder unter www.COALAXY.com.

        Autoren

        Matthias Kreimeyer

        Prof. Dr. Matthias Kreimeyer leitet den Lehrstuhl für Produktentwicklung und Konstruktionstechnik an der Universität Stuttgart. Dabei fokussiert er sich auf Modelle, Methoden und Werkzeuge für die Planung und Entstehung moderner, komplexer und nachhaltiger Produkte und technischer Systeme.

        Merlin Stoelzle

        Merlin Stölzle (M.Sc.) ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Konstruktionstechnik und Technisches Design (IKTD) der Universität Stuttgart und beschäftigt sich mit der Kreislaufgerechtheit von Produktarchitekturen.

        Thilo Pfletschinger

        Dr. Thilo Pfletschinger ist geschäftsführender Gesellschafter von COALAXY, einem Beratungsunternehmen, das sich auf Strategie, Innovation und Mindset im Bereich der Produktnachhaltigkeit konzentriert. Als Ratgeber und Implementierungspartner begleitet Thilo seit mehr als 20 Jahren Transformationen in Richtung Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft mit Fokus auf Produktentwicklung und Innovation. Für Thilo steht der wirtschaftliche Erfolg seiner Klienten bei gleichzeitig positiver Wirkung auf Umwelt und Gesellschaft im Zentrum seines Handelns.

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